Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen


Antwort auf den Leserbrief von Dr. med. Ingrid Heimke im „Ärzteblatt Sachsen“, Heft 4/2020


Sehr geehrte Damen und Herren,

In ihrer Replik auf das Editorial von Dipl.-Med. Petra Albrecht zur Impfpflicht gegen Masern im „Ärzteblatt Sachsen“, Heft 12/2019, vermengt Frau Heimke Fakten von vermeintlicher und tatsächlicher Wissenschaftlichkeit mit philosophischen und politischen Fragen. Aus meiner Sicht darf diese Position nicht unwidersprochen bleiben.

Frau Heimke unterstellt dem deutschen Staat Totalitarität und die Anwendung von sozialem Druck bei der Durchsetzung der Masernimpfpflicht. Dabei unterschlägt sie jedoch wissentlich die klare Abwägung von Interessen und bürgerlichen Rechten und Pflichten, die in unserem Grundgesetz vorgenommen wird: Art. 33 Abs. 1 GG „Jeder Deutsche hat […] die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ In einer funktionierenden Demokratie folgt direkt aus den Grundrechten der Verfassung die Notwendigkeit, dass jeder aus eigener Verantwortung den Pflichten gegenüber der Gemeinschaft nachkommt. Verantwortung mit Totalitarismus gleichzusetzen, erscheint hierbei abwegig.

Auch außerhalb der verfassungsmäßigen Rechte ist das Ausüben von Pflichten in unserer Gesellschaft stets von Nöten. So besteht in Deutschland die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder (Grundgesetz Art. 6 Abs. 2). Daraus ergibt sich direkt die Pflicht der Eltern, das eigene Wohl nicht über das des Kindes zu stellen, darüber „…wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Ich stelle mir in diesem Zusammenhang oft die Frage, wieso Eltern es sich eigentlich anmaßen, gegen das Wohl ihres Kindes (in diesem Fall Verweigern einer allgemein anerkannten und empfohlenen Impfung) zu entscheiden.

Und nein, der Staat nimmt sich nicht das Recht, die Gesundheit Einzelner zu riskieren, um die Gesundheit anderer zu schützen (vergleiche hierzu beispielhaft California Court of Appeal. Brown v. Smith. B279936. Decided: July 02, 2018). Eine von Frau Heimke beklagte Aufrechnung findet sich weder im Masernschutzgesetz noch im Editorial unserer Vizepräsidentin.

Eine solche Aufrechnung wird jedoch regelmäßig von Impfgegnern und vermeintlichen kritischen Impfbefürwortern (zum Beispiel dem Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V., dem Frau Heimke angehört), vorgenommen (siehe Brief von Frau Heimke an Frau Merkel und Herrn Spahn, veröffentlicht am 27. März 2020 in dem Blog der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld). In diesen Zusammenhang gestellt, wirkt auf mich der letzte Satz von Frau Heimke, dass „diese Fragen früher oder später sowieso gestellt werden“, zumindest missverständlich, wenn nicht geradezu als Drohung.

Dr. med. Norbert Lorenz, Dresden