Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen


Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Seite 4, „Ärzteblatt Sachsen“, Heft 12/2019, stellt Frau Albrecht ihre Meinung zur Impfpflicht gegen Masern dar. Leider wiederholt dieser Artikel die üblichen Ausführungen aus der Laienpresse.

Von einer Fachzeitschrift für Ärzte hätte ich mir nicht nur einen Kommentar einer Ärztin gewünscht, sondern eine differenzierte fachliche Auseinandersetzung mit den Themen „Masernimpfung“ und „Impfpflicht“. Hierzu gibt es mittlerweile eine Vielzahl spannender Veröffentlichungen in seriösen Fachzeitschriften. Wichtige Stichworte sind dabei für mich unter anderem: die anhaltenden Unterschiede in der Avidität der gebildeten Antikörper in Abhängigkeit vom Lebensalter bei der ersten Impfung, die mögliche epidemiologische Bedeutung der Vaccine-modified measles sowie die nicht mehr optimale Abdeckung kursierender Masernwildvirustypen (zum Beispiel B3) durch Impfstoffe die alle auf Wildvirus A basieren und praktisch auch ein fehlender Maserneinzelimpfstoff in Deutschland. Auch steht das Gesetz im Widerspruch zur sehr durchdachten Impfempfehlung der Sächsischen lmpfkommission. Vor allem das nahezu komplette Ausblenden entscheidender ethischer Konflikte durch die Autorin nehme ich mit Sorge wahr (siehe auch die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates). Wie weit will die Kollegin gehen, wenn Eltern oder selbst betroffene Menschen sich nicht durch soziale Druckmaßnahmen (Geldstrafen, Ausschluss aus dem Kindergarten oder von der Arbeitsstelle) zu dieser medizinischen Maßnahme zwingen lassen? Ein bisschen totalitär geht nicht.

Wie sollen sich Ärzte verhalten, wenn erkennbar ist, dass ihr Gegenüber sich aus existenziellen Gründen zur Impfung genötigt sieht, aber offensichtlich nicht in die Impfung einwilligt?

Wie der Blick in die Fachinformation zeigt, kann im Einzelfall auch eine Masernimpfung individuell schwere Nebenwirkungen haben. Dieses Risiko steigt, wenn beispielsweise sehr junge Kinder mit noch nicht diagnostiziertem Immundefekt aufgrund der sozialen Drucksituation geimpft werden.

Hat der Staat prinzipiell das Recht, die Gesundheit Einzelner zu riskieren, um eine größere Menschenmenge zu schützen? Kann man gesundheitliche Schäden gegeneinander aufrechnen? Hätten Sie nicht auf Seite 13 das Genfer Ärztegelöbnis gedruckt, hätte ich meine Gedanken für mich behalten. Das Editorial steht aber für mich im eklatanten Widerspruch zu diesem Gelöbnis. „Ich werde die Autonomie und die Würde meiner [...] Patienten respektieren. [...] Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.“

Ich halte es für sehr gefährlich, wenn Ärzte wichtige ethische Fragen ihres Handelns ausblenden. Ich fände es gut, wenn das Sächsische Ärzteblatt hier Mut zur Debatte zeigt und das Thema Masernimpfpflicht nicht nur unter stark vereinfachten epidemiologischen Gesichtspunkten betrachtet, sondern auch ehrlich und klar medizinische Probleme und ethische Konflikte darstellt. Letztlich werden diese Fragen früher oder später sowieso gestellt werden.

Dr. med. lngrid Heimke, Dresden