Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen


                                                                                                                

Bundeskanzleramt

Z. H. Persönlich

Frau Bundeskanzlerin

Dr. Angela Merkel

Willy-Brandt-Straße 1

10557 Berlin

Dresden, den 26.09.20

Dr. Ingrid Heimke

                       

                                            

Berufsordnung der Ärzte und Infektionsschutzgesetz §20

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

als täglich impfender Kinderärztin liegt mir der Schutz von Bevölkerungsgruppen, welche sich selbst nicht impfen lassen können, am Herzen. Allerdings erlebe ich momentan sehr konkret, wie unter dem Vorwand des Infektionsschutzes elementare Rechte von Patienten und Ärzten in zuvor nicht erlebter Weise gebrochen werden.

Möchten Eltern, aus welchen Gründen auch immer, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) für ihr Kind, benötigen aber eine außerfamiliäre Betreuung bzw. ist ihr Kind schulpflichtig, so entsteht für die Betroffenen eine finanziell bedingte Zwangssituation um die ich als impfende Ärztin weiß und welche ich nicht ignorieren kann.  Bei der Behandlung dieser Menschen kann ich bedingt durch das geänderte Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht mehr gemäß der aktuell gültigen Berufsordnung für Ärzte (BO) arbeiten. Aus diesem Grund haben neun weitere Kollegen und ich bereits Herrn Gesundheitsminister Spahn geschrieben, leider aber keine Antwort erhalten.

Es geht mir mit diesem Schreiben explizit nicht um einen Disput für oder gegen Schutzimpfungen sondern nur um die ethischen Folgen dieses Gesetzes, welche weit über die Fragestellungen rund um das Thema Schutzimpfungen hinausgehen. Ich bitte Sie deshalb hiermit  dringend, gemeinsam mit Ihren Kollegen im Parlament auf eine Aussetzung dieses missglückten Gesetzes hinzuwirken.  Das geänderte IfSG bricht an mehreren entscheidenden Stellen mit  der ärztlichen BO und annulliert in der praktischen Konsequenz diese wichtige Grundlage seriöser ärztlicher Praxis. Zur ärztlichen Arbeit gehört unverzichtbar eine Beachtung des ärztlichen Gelöbnisses; die Maßgabe das ärztliche Handeln am Wohle des Patienten auszurichten und nicht das Interesse Dritter darüber zu stellen(§2.2); die Anforderung den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu beachten (§2.3); vor allem die Vorgabe ein „Nein“ des Patienten zu einer ärztlichen Maßnahme zu respektieren, kurz: sein Selbstbestimmungsrecht zu achten(§7.1). Ferner verbietet es der ärztliche Berufsauftrag, „diagnostische oder therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung […] der Hilflosigkeit von Patienten anzuwenden“(§11.2).

Der erste Satz der BO lautet: „Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.“ . Das geänderte IfSG lässt mir als Ärztin aber keinerlei Entscheidungsspielraum für eine die Umstände des Patienten berücksichtigende Behandlungsempfehlung. Das Ergebnis der ärztlichen Konsultation steht praktisch schon vor der Arztvorstellung fest – der Bürger kann sich für die Behandlung entscheiden (im konkreten Fall die MMR-Impfung) oder er hat mit drastischen sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen zu rechnen. Erst das Eingehen des behandelnden Arztes auf die individuelle Situation des Patienten und die Möglichkeit der Gewissensfreiheit ermöglicht dem Arzt eine Behandlung im Dienste der Menschlichkeit.

Hat der Arzt keine Möglichkeit seine eigene menschliche Einschätzung in die Behandlung einfließen zu lassen, kann er auch nicht im Dienste der Menschlichkeit handeln. In einer solchen Situation besteht dann sehr deutlich die Gefahr, dass nur noch  gesetzliche Vorgaben an lebenden Menschen abgearbeitet werden und eine Behandlung somit unmenschlich wird.  Es ist Aufgabe des Gesetzgebers rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Abgleiten der Arzt-Patienten-Beziehung in dieser Weise in jedem Fall verhindern.

Ich bitte Sie als Bundeskanzlerin von Deutschland um Antwort auf die folgenden Fragen:

1. Ist Ihnen der historische Hintergrund der ärztlichen Berufsordnung bekannt?
2.

Ist Ihnen bewusst, welche allgemeinen Auswirkungen §20 (IfSG) auf die Arzt – Patienten - Beziehung und somit auch auf die Patientensicherheit hat?

3. Was empfehlen Sie mir als Ärztin, wenn ein Patient erkennbar die MMR-Impfung nicht möchte, mich aber aufgrund seiner materiellen Zwangssituation zur selben auffordert?
4. Auf welche zeitlos gültige ethische Grundlage ärztlichen Handelns kann ich mich als Ärztin berufen, wenn ich Behandlungen unter diesen Umständen durchführe?

          

Das geänderte IfSG verändert in prinzipieller Weise die ärztlicher Arbeit in Deutschland, was wiederum jeden Bürger betrifft, da sich jeder irgendwann einmal in ärztlicher Behandlung begibt. Aus diesem Grund bitte ich Sie persönlich um Antwort auf meine Fragen.

Gern bin ich auch jederzeit bereit an einer konstruktiven Lösung im Sinne von Gemeinschaft, Individuum und Arzt mitzuarbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Ingrid Heimke

FÄ f. Kinderheilkunde

Nachrichtlich:

Herrn Bundespräsidenten, Dr. Frank-Walter Steinmeier, Spreeweg 1, 10557 Berlin

Anhang

Brief an Herrn Gesundheitsminister Spahn

Auszüge aus der Berufsordnung für Ärzte in Sachsen