Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen


                                                                                                                

Bundesärztekammer

 

Vorstand der Zentralen Ethikkommission

bei der Bundesärztekammer

Herbert-Lewin-Platz 1

10623 Berlin

Dresden, den 08.10.20

                     

           Dr. Ingrid Heimke

                       

                                            

Berufsordnung der Ärzte und Infektionsschutzgesetz §20

Sehr geehrte Damen und Herren,

als täglich impfender Kinderärztin liegt mir der Schutz von Bevölkerungsgruppen, welche sich selbst nicht impfen lassen können, am Herzen. Allerdings erlebe ich momentan sehr konkret, wie unter dem Vorwand des  Schutzes vor Masern elementare Rechte von Patienten und Ärzten in zuvor nicht erlebter Weise gebrochen werden.

Es geht mir mit diesem Schreiben explizit nicht um einen Disput für oder gegen Schutzimpfungen sondern nur um die ethischen Folgen des §20 IfSG, welche in ihrer  Bedeutung erheblich über die Fragestellungen rund um das Thema Schutzimpfungen hinausgehen.

Möchten Eltern, aus welchen Gründen auch immer, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) für ihr Kind, benötigen aber eine außerfamiliäre Betreuung bzw. ist ihr Kind schulpflichtig, so befinden sich die Betroffenen in einer finanziell bedingte Zwangssituation um die ich als impfende Ärztin weiß und welche ich nicht ignorieren kann.  Bei der Behandlung dieser Menschen kann ich bedingt durch das geänderte Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht mehr gemäß der aktuell gültigen Berufsordnung für Ärzte (BO) arbeiten. Denn das geänderte IfSG bricht an mehreren entscheidenden Stellen mit  der ärztlichen BO und annulliert in der praktischen Konsequenz diese wichtige Grundlage seriöser ärztlicher Praxis. Zu den Konfliktpunkten gehören das ärztliche Gelöbnis; die Maßgabe das ärztliche Handeln am Wohle des Patienten auszurichten und nicht das Interesse Dritter darüber zu stellen(§2.2); die Anforderung den anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu beachten (§2.3); die Vorgabe das Selbstbestimmungsrecht  zu respektieren (§7.1) sowie das Verbot „therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung […] der Hilflosigkeit von Patienten anzuwenden“(§11.2).

Der erste Satz der BO  und des Ärztlichen Gelöbnisses lautet: „Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.“ . Das geänderte IfSG lässt mir als Ärztin aber keinerlei eigenen Entscheidungsspielraum für eine die Umstände des Patienten individuell berücksichtigende Behandlungsempfehlung. Das Ergebnis der ärztlichen Konsultation steht in der Regel  praktisch schon vor der Arztvorstellung fest – der Bürger kann sich für die Behandlung entscheiden (im konkreten Fall die MMR-Impfung) oder er hat mit drastischen sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen zu rechnen.

Hat der Arzt keine Möglichkeit seine eigene menschliche Einschätzung in die Behandlung einfließen zu lassen, kann er auch nicht im Dienste der Menschlichkeit handeln. In einer solchen Situation besteht dann sehr deutlich die Gefahr, dass nur noch  gesetzliche Vorgaben an lebenden Menschen abgearbeitet werden und eine Behandlung somit unmenschlich wird. 

Ich sehe hier die Bundesärztekammer in der Pflicht dem Gesetzgeber zu vermitteln, dass generell kein Gesetz ein Abgleiten der Arzt-Patienten-Beziehung in eine unmenschliche Behandlungssituation ermöglichen darf. Zu diesem zentralen ethischen Problem des IfSG §20 finde ich keinerlei Bezug in der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Gesetzesentwurf eines Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) (BT‐Drs. 19/13452) vom 16.10.2019.

Deshalb bitte ich Sie als Vorstand der Ethikkommission der Bundesärztekammer um Antwort auf die folgenden Fragen:

1. Was empfehlen Sie mir als Ärztin, wenn ein Patient erkennbar die MMR-Impfung nicht möchte, mich aber aufgrund seiner materiellen Zwangssituation und somit aus einer Situation der persönlichen Hilflosigkeit heraus, zur selben auffordert?
2.

Auf welche zeitlos gültige ethische Grundlage ärztlichen Handelns kann ich mich  als Ärztin berufen, wenn ich Behandlungen unter diesen Umständen durchführe?

          

Das geänderte IfSG verändert in prinzipieller Weise die ärztlicher Arbeit in Deutschland, was wiederum jeden Bürger betrifft, da sich jeder irgendwann einmal in ärztlicher Behandlung begibt. Aus diesem Grund bitte ich Sie um Antwort auf meine Fragen.

Gern bin ich auch jederzeit bereit an einer konstruktiven Lösung im Sinne von Gemeinschaft, Individuum und Arzt mitzuarbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. med. Ingrid Heimke

FÄ f. Kinderheilkunde

Nachrichtlich:

Bundesärztekammer, Herrn Präsidenten, Dr. med. Klaus Reinhardt, Herbert-Lewin-Platz 1

10623 Berlin

Anhang

Auszüge aus der Berufsordnung für Ärzte in Sachsen